Die Gewinnerin des Dr. Holger Müller Preises 2022 ist Dr. Lena-Luise Becker, Assistenzärztin an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Ausgezeichnet wird die Wissenschaftlerin für die Erforschung einer seltenen Gefäßkrankheit, von der weltweit etwa 100 Menschen betroffen sind.
Die tückische Krankheit nennt sich Benigne Atrophische Papulose, auch als Kohlmeier-Degos-Krankheit bekannt. Diese geht mit Veränderungen der Haut einher, zusätzlich können auch innere Organe betroffen sein – in diesem Fall spricht man von Maligner Atrophischer Papulose (MAP).
Bei Patientinnen und Patienten mit MAP schreitet die Erkrankung schnell fort und verläuft meist innerhalb von zwei Jahren tödlich. Bislang waren weder Ursache noch eine effektive Therapie bekannt, um die Erkrankung aufhalten zu können.
2019 wurde an der Charité – Universitätsmedizin Berlin eine 9-jährige Patientin mit MAP und einer fortschreitenden Muskellähmung in Armen und Beinen, einer Epilepsie und einer schweren Beeinträchtigung des Hörens und Sehens vorgestellt.
Gemeinsam mit ihrem Forschungsteam der Charité – Universitätsmedizin Berlin und der Universität Greifswald sowie mit weiteren Kolleginnen und Kollegen verschiedener Fachrichtungen musste Dr. Lena-Luise Becker zunächst die Krankheitsursache herausfinden.
Unbekannte Genvariante entdeckt
Sie führten eine ausführliche DNA-Analyse bei dem erkrankten Mädchen sowie ihren Eltern durch und konnten eine unbekannte Genmutation als Auslöser identifizieren. Für Dr. Lena-Luise Becker ist im Hinblick auf die Erforschung seltener Erkrankungen generell eine umfassende Diagnostik und insbesondere eine detaillierte genetische Untersuchung entscheidend. Auch die Arbeit im interdisziplinären Team aus klinischen Spezialistinnen und Spezialisten sowie Grundlagenforschenden war für sie ein entscheidender Schlüssel, „um die Ursachen dieser seltenen Erkrankung zu ergründen und schlussendlich dem Mädchen zu helfen“.
Bei der DNA-Analyse identifizierte das Forschungsteam eine unbekannte Genmutation im Interferon-Rezeptor. An diesem Rezeptor binden Interferone und andere körpereigene Botenstoffe, die bei Reaktionen des Immunsystems, zum Beispiel auf eine Virusinfektion, gebildet werden.
Die entdeckte Genmutation verursachte eine übermäßige Immunreaktion, die bei der Patientin zu den Schäden im Gehirn führte. Basierend auf diesen Erkenntnissen forschte das Team nun nach einer gezielten Therapie – mit Erfolg.
Den Forschenden um Dr. Lena-Luise Becker gelang es, zu zeigen, dass eine therapeutische Hemmung dieser Reaktion die junge Patientin stabilisieren konnte und sich die bestehende übermäßige Entzündungsreaktion normalisierte.
Die Ergebnisse wurden im renommierten Fachjournal „The Lancet Neurology“ unter dem Titel „Interferon receptor dysfunction in a child with malignant atrophic papulosis and CNS involvement“ veröffentlicht. Für diese erfolgreiche Forschungsarbeit erhält Dr. Lena-Luise Becker den Dr. Holger Müller Preis 2022, den sie am 11.05.2023 in feierlichem Rahmen in der Schickhardthalle im Alten Rathaus in Esslingen entgegennehmen konnte.
„Die Auszeichnung mit dem Dr. Holger Müller Preis bedeutet mir in meiner noch jungen Karriere unwahrscheinlich viel“, erklärt die Preisträgerin. „Außerdem bin ich sehr dankbar für diese Würdigung meines bisherigen Engagements, verstehe sie aber gleichwohl auch als Auftrag, mich weiter intensiv für Kinder mit seltenen Erkrankungen einzusetzen.“
Im Rahmen einer aktuellen internationalen Kollaboration sollen weitere Patientinnen und Patienten genetisch untersucht und dadurch die Betroffenen gefunden werden, denen die beschriebene medikamentöse Therapie helfen kann.
Wir gratulieren der Preisträgerin und ihrem Team!